Healing Highway, Volume 5

21.04.2024. URANUS-JUPITER-CONJUNCTION IN TAURUS. Breakthrough & Liberation.
POOL POSITION: Schön cool bleiben. Ich halte mich mit Schwimmen über Wasser

Ich tauche jetzt  öfter mal ab. Liegt vor allem an meinem Arm, den ich letztes Jahr gebrochen hatte und der erst zu 95% geheilt ist. Darüber hinaus brauche ich einen Ausdauersport für mein Nervensystem und idealerweise etwas mit niedrigem Verletzungsrisiko. Stichwort Bruchpilot. Im Wasser kann mir nichts passieren, das ist safe. Nebenbei bemerkt ist Schwimmen eine unglaubliche Wohltat für den Rücken, das Herz-Kreislaufsystem, trainiert verschiedenste Muskelgruppen und reduziert das Stress-Empfinden.

Ich marschiere also in die nahegelegene Badeanstalt. Tolles Wort. Erinnert an Irrenhaus, als würde man dort untergebracht werden, zur Sicherheit der anderen. Soweit ich es erinnere war auch ich eins dieser Kinder, die erst dann bibbernd aus dem Wasser gekommen sind, wenn sie quasi blau angelaufen waren und dann auch nur ungern. Meinen Freischwimmer hab ich dann im „Kelle“, dem historischen Hamburger Holthusenbad gemacht, immer einen Besuch wert, bei diesem tollen, persischen Bademeister, bei dem alle schwimmen gelernt haben. Eine Legende der Mann.

Hinzu kommt, ich hatte ein Poster des Popart-Klassikers „Porträt of an Artist“ von David Hockney, einer meiner größten Stilikonen, in meiner ersten Wohnung an die Wand gepinnt, nicht wissend, dass das Bild Teil einer Serie und aus dem Jahre 1972 ist. Der heute 86-jährige britische Maler hatte es damals für 18.000 Dollar verkauft, heute ist es 90,3 Millionen wert und eins der teuersten Werke überhaupt. Irgendein Kunsthistoriker hat es folgendermaßen analysiert, es zeigt enorme emotionale Tiefe, es ging um eine schmerzhafte Trennung, erinnert aber gleichzeitig an die heimliche Lust, sowie den symbolischen Akt des Badens, der ja auch eine Art Sich-selbst-Freiwaschens darstellt. Die ganze kalifornische Reihe steht für Freiheit, Transformation und einen beschwingt-lässigen New-Way-of-Life.

Es erfordert Disziplin. Die Tage ziehen sich monoton dahin. Es ist im Schwimmbad wie überall, mal so und mal so. An verregneten Tagen vormittags im Außenbecken angenehm leer, am Wochenende nervig.

Heute ist das Entenpärchen wieder da und schwimmt unbeeindruckt zwischen den kraulenden Badekappen herum, als wäre das hier die Alster. Überall im Becken breites Grinsen in den, von Taucherbrillen zerdrückten, Gesichtern zu sehen. Die beiden schunkeln wenige Zentimeter neben uns, starren mich mit einem fast menschlichen Ausdruck an, und haben offensichtlich überhaupt keine Angst. Bis die Bademeisterin kommt und sie mit einem Besen verscheucht.
Die ersten Tage meiner 100-Tage-Challenge ziehe ich im Außenbecken bei Minus drei Grad Außentemperatur meine Bahnen und muss wegen mieser Ohrenschmerzen meinen Trainingsplan erst mal abbrechen. Ich bin nicht gut vorbereitet, ab jetzt nur noch mit Badekappe und Ohrenstöpseln ins Wasser. Kein Vergleich, das macht den Unterschied. Dauert eine Weile bis ich perfekt ausgerüstet bin. Neben dem Badeanzug und guter Schwimmbrille sind Badelatschen unerlässlich. Nicht nur wegen der Glitsch-Gefahr, sondern vor allem um sich vor Pilzbefall oder schlimmerem zu schützen. Ich setze hier keinen nackten Fuß auf die Fliesen. Schon unappetitlich zu sehen wieviele sich diesbezüglich nicht im Griff haben.

Erst ist es die Hölle, aber danach der Himmel. Vor dem ersten Kälteschock gruselt es mich meist schon Stunden vorher. Kalt und nass bei Nieselregen ist wirklich kein Zucker schlecken, man verlässt definitiv die Komfortzone, aber das Gefühl hinterher ist so berauschend, dass ich es immer wieder tue. Ich springe nicht oft ins Becken, kein Köpper mehr, sondern nehm meist ganz bewusst die Treppen. Ganz normales Tempo, bloss nix extremes. Bin zwei mal vom 10-er gesprungen, seit dem hab ich Respekt vor dem Aufprall. Selbst vom Beckenrand mag ich nicht mehr, ich hab genügend geköpft. Ich fühle mich langsam sicherer, auch wenn es Überwindung kostet. 

Nach einigen Zügen werde ich warm, bin in meinem Element, lasse die quadratisch angeordneten Fliesen unter mir vorbeiziehen, und tauche ab in meine eigene Gefühlswelt. Pools mit ihrer symmetrischen Ordnung sind perfekt, sie bringen meinen fahrigen Geist sofort zur Ruhe. Angenehm abgeschottet und Geräuscharm ist es unter der Haube, wie ein nachhause kommen, die Regelmässigkeit der Schwimmzüge beglückt mich. An manchen Tagen erlebe ich verschiedene Witterungs-Szenarien. Erst Regen und Sturm, dann plötzlich Sonne. So muss sich Wiedergeburt anfühlen, ein Zustand in dem mir nichts fehlt und ich ewig weiter machen könnte. Hat vielleicht doch was damit zu tun, dass ich drei Planeten im Fisch stehen habe. Durch den Aufrieb im Wasser fühlt sich mein Körper biegsam und leicht an und entsprechend alles andere, was mich beschäftigt, auch. Erst sortiere ich die Wucht meiner Gedankenströme, dann fixiere ich mich auf ein Mantra, schließlich auf meine Atmung. Unter der Oberfläche verliere ich Gefühl für Zeit und Ort und führe Dialoge mit alten Versionen meiner selbst. Wer bin ich? Warum ich? Woher komme ich? Wohin gehe ich? Es funktioniert aber auch wunderbar, um sehr effizient zu Lösungen zu kommen und kniffelige Situationen gelassener zu handeln. Hinterher bin ich so erfrischt und leer, wie ein unbeschriebenes Blatt. Wirklich unbezahlbar gut.

Es ist eine eigene Welt hier im Becken, es herrschen strenge Regeln und jedes Mal lauern neue Herausforderungen. Das Ganze funktioniert wie eine Choreografie. Alle Beteiligten müssen sich auf Anhieb, ohne Absprache, nur per Augenkontakt oder Telepathie, einigen, welche Bahnen man sich für den gemeinsamen, rhythmischen Kreisverkehr in den folgenden Runden teilt. Entweder es matcht oder eben nicht.

Es kann alles passieren. Man kann in einen mega synchronen Flow geraten oder auch heftige Fußtritte einkassieren. Worauf ich nicht so gut klar komme sind diese Typen, die so übertrieben auf die Wasseroberfläche dreschen und eine richtig dicke Welle machen, als würden sie gleich mit einem Hulk-ähnlichen Urschrei das gesamte Becken in die Luft schleudern. Wirft mich total aus der Bahn. Die richtigen Triathleten schwingen ihre Arme wesentlich eleganter, die gleiten mit ihren aalglatten Silhouetten lautlos, ohne groß Spritzer zu verursachen. Bizarr sind auch die Rückenschwimmer:innen, die einfach drauf losbrettern, in der Hoffnung, da wird schon nix im Weg sein. Einfach ausblenden, dass man grad allen anderen das Leben versaut. Ein anderes Phänomen, Sternzeichen Walross, kündigt sich selbst immer schon lauthals Meter vor seiner schnaufenden Ankunft  an. „Halloooo, halloooo!“. Damit jeder im Becken ihm zackig ausweichen kann. Mir liegt dann so einiges auf der Zunge, aber ich halte mich bisher zurück. Auch schwierig, quasi die Schattenseiten dieses feucht-fröhlichen Vergnügens, sind die Schmuddeligen, die eine ungeduschte Wolke Zehn-Tage-Bettmief um sich herum verbreiten, gern kombiniert mit einer Prise Gyros-Atem. Bringt mich an meine Grenzen. Man riecht echt viel hier. Man kommt sich ja sehr nahe. Aber all das kann ich handeln. 

Für mich ist es wie der Sprung in ein David Hockney Poster, in dem ich brav meine Froschbewegungen mache und mich dabei frei schwimme von alldem was bisher geschah.

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