27.11.2023 – FULLMOON IN GEMINI – You should be dancing
Jetzt wird’s angenehm locker. Vielleicht sollte ich einen Zettel ins Treppenhaus hängen, um die Sache aufzuklären? Oder wäre das übertrieben, nur weil ich nachmittags schreiend und tragisch seufzend bei lauter Musik durch die Wohnung hüpfe? Dann denken die Nachbarn doch erst recht, jetzt ist es amtlich, völlig übergeschnappt, die Alte. Ach, ich lass es, ist doch sowieso alles egal.
Aus Versehen bin ich im Online-Kurs von Sah D`Simone gelandet. Ich hatte gierig den Free-Trail-Button angeklickt und natürlich vergessen das Abo rechtzeitig zu kündigen. Gecatcht hat mich zunächst sein Teaser: “Supercharge your Mental Health Challenge”. Sowas spricht mein Bedürfniszentrum direkt an. Nun bin ich drin in seinem digitalen Tanzschuppen und werde einen Monat seine radikalen, kraftvollen Techniken ausprobieren, die helfen sollen innere Blockaden zu lösen und das emotionale Übergepäck abzuwerfen.
Wer ihn nicht kennt, Sah D`Simone ist Mystic, Artist, Spritual Guide, Bestseller-Autor, Gastgeber diverser lustiger Trash-TV-Streaming-Formate und praktizierender Buddhist. Als Kinesiologe und Trance-Tänzer versteht er wirklich was vom Zusammenspiel von Körper, Musik und Seele. Tanzen, das ist unstrittig, reguliert unser Nervensystem.
Auf seiner Webseite stoße ich auf Filmchen seiner Events, junge Menschen irgendwo im Dschungel folgen barfuß und nur in Bikinis oder Shorts bekleidet seinen fetzigen Moves und fast geburtsvorbereitenden Atem-Techniken. Überall beseelte Gesichter. Sieht aus, als hätten sie diesen Zustand ohne Drogen erreicht. In einem anderen Clip wird in einem Studio gemeinsam abgehottet und der seelische Druck per U-Schrei ausgeleitet. Ich liebe es sofort.
Jane Fonda goes Goa-Party und hebt Osho-Meditation auf ein neues Level.
https://www.youtube.com/watch?v=ooTOPABRKzA
Als Kinesthetic Lehrer hat Sah gelernt Leute kollektiv in Trance zu versetzen. Er hat in Obdachlosenheimen und Krankenhäusern gearbeitet und ist selbst ein Überlebender, hat lange mit Depressionen, Angst und Suchtproblemen gestruggelt. Man glaubt ihm jedes Wort. On Top ist er mit reichlich Charisma und Humor ausgestattet und unterm Strich ein cooler Typ, einer den man gern als besten Freund hätte. Da ich selbst Trauma hab und an allen Arten von Heilung extrem interessiert bin ( diese Methode ersetzt keinen Arzt oder Therapeuten) schalte ich sofort die Einstiegs-Session ein. Ein bisschen wie die ersten Aerobic-Videos aus den 80`ern, die Qualität ist mittel, die optische Aufmachung eher hilflos. Macht aber nix, denn er hat ja sich. Seine Energie, seine Aura, seinen Körper. Er rastet komplett aus – zu Musik die mir nicht so gefällt, stumpfer Elektro, macht Bewegungen wie beim Jazzdancekurs, nur in really sexy, und moderiert das Ganze sehr laut ( Meine Nachbarn!) und fast beschwörend. Lass alles raus! Schüttel dich! Lass den alten Schmerz gehen! Das ist so lustig und bestimmt auch äußerst peinlich für manch einen. Sollte man über 35 sein fühlt man sich garantiert unbesiegbar und ergibt sich ehrfürchtig seinen Manifestations-Moves. Auf die geballte Ladung Glückshormone verzichtet man ja nicht freiwillig. Also brülle ich eindringlich mit: I bless and release what not bring me peace. I bless and release, bless and release!
Gut, die Idee ist nicht neu, aber inzwischen wissenschaftlich bewiesen. Therapeutisches Tanzen hilft. Wichtig dabei, sich energetisch und völlig schambefreit bei guter Mucke komplett zu entladen. Jeder hat ja schon mal diesen Spruch auf irgendeinem T-Shirt oder einer Hauswand gesehen: „Dance like nobody is watching“. Wenn von unserem chronisch digital verstopften Hirn auf ekstatisch dahinfließenden Real-Körper um-geschaltet wird, bauen sich psychische Spannungen tatsächlich ab. Man muss natürlich brennen, vibrieren, die Melodien sollten durch die Venen rauschen, wie süßes Gift.
Move your body. Dance as you are. Feel free. Diese Teaser funktionieren bei mir wie ein Knopfdruck. Ich fange sofort an gutgelaunt zu wippen und will mich anmelden. Wo auch immer. Osho hat das Ganze ja schon in den 70ern verkündet. Aber wir hatten alle heimlich ein bisschen Angst vor den orangenen Gewändern, dem Geruch nach Sekte und ungewaschenen Füßen und vor allem dem Grad an Irrsinn den man automatisch zugab, wenn man an so einer Zeremonie teilnahm. Es war sehr exotisch, aber keine echte Option. Finden heute Meditations-Kurse in seinem Stil statt ist das Ganze plötzlich irre crazy und voll Berlin-Mitte. Spielt aber alles keine Rolle, denn: Die Erfahrung des Tanzens wird dein Leben verändern. So oder so. „Your body, your mind, your soul all fall into harmony in dancing.“ – Osho.
Ich hab schon immer gern getanzt, nicht nur wenn ich gefeiert hab. Musik ist ein konstantes Hintergrundrauschen in meinem Leben. Der rote Faden, der Soundtrack zu all dem anderen. So bin ich z.B. jahrelang zum Baltic-Soulweekender gefahren um auf silbernen 8-cm-(immerhin)-Wedges in einem kaum besuchten Pavillon stundenlang zu einem DJ namens Piller zu tanzen, bis die Füße bluteten, was mich nicht davon abgehalten hat es am nächsten Tag nochmal zu tun. Kein Scheiß. Nicht ganz so berauscht wie die anderen, aber mit geschlossenen Augen und dem sichern Gefühl, dass das genau der Ort ist, an dem ich jetzt all mein Gepäck abzuwerfen hab. Musik reduziert bekanntlich das Stresshormon Cortisol, daher habe ich wohl auch früher schon, intuitiv, mit meinen Kindern im Arbeitszimmer getanzt, einfach nur mal so, als kurze Lockerungsübung. Meist zu alten Soulsongs, wie z.B. „Wanna be where you are“ von den Jackson Five oder Ann Peebles. Das Gute ist, man braucht dazu ja nicht viel. Einfach laut Musik anmachen, Plattenspieler, I-Tunes oder was grad zur Hand ist, und hemmungslos los tanzen, so als würde man die von unten beleuchtete Tanzfläche eröffnen und alle Augen und Scheinwerfer wären auf einen gerichtet. Wer mag kann sich auch Nebelschwaden oder pfeifendes Publikum vorstellen. Whatever works. Alles was kickt ist erlaubt.
Es ist ein Movement. Unzählige springen grad auf diesen Soultrain auf. Auf Instagram dancen sie oder auf Ticktock – Tipp: Oldschoolmoves / er ist Movement Coach und Dude! – ob alt oder halbnackt, in der Küche oder vor dem Badezimmerspiegel, oft im Schlafanzug oder mit Turban auf dem Kopf, so wie man sich vor diesem Hauptsache-unperfekt-Trend eigentlich niemanden präsentiert hätte. Hauptsache authentisch. Lets get real.
Während ich also diesen Text tippe schlürfe ich kurz zwischendurch kraftlos in den Sportclub um die Ecke und lande in der falschen Klasse, statt Yoga-Flow eine Art Rückengymnastik, erinnert mich an quälende Turnstunden, die ich lieber geschwänzt hätte. Als ich das Studio verlasse sehe ich gegenüber einen krass tätowierten Typen mit Trommel in die Nebenräumlichkeiten verschwinden. Dort ist es abgedunkelt und eine Disocokugel versetzt den Saal in ein verlockendes Glitzern. Was ist das hier, frage ich eine barfüßige Frau, die an mir vorbei huscht. Nia, sagt sie? Ist das gut? Ob das gut ist!? Hahaha. Es gibt nix was so gut ist, sagt sie und ihr Gesicht sieht aus, als hätte ich grad gefragt, ob Verliebtsein gut ist. Also gehe ich rein. Bin ja nicht doof. Von der Hölle also direkt ins Paradies. Der Sound ist gut, anfangs ein Mix aus Disco und Jazz, mit einer Note Village People. Circa 50 Frauen und ein Mann lassen sich komplett gehen. Ab und zu gibt es eine Choreo, an die man sich nicht halten muss, die aber zu richtig befreienden Moves verleiten. Man gleitet quasi durch den Raum, manche sehr wild, manche verstörend lachend, alle anziehend glücklich. Hätte ich gewusst dass sich sowas keine fünf Minuten von meiner Haustür mehrmals die Woche abspielt, wäre ich nicht nur süchtig, sondern hätte ich längst eine Teacher-Preacher-Umschulung gemacht. Später wird es afrikanischer, südamerikanischer. Später bin ich aber schon totally lost in Trance.